Bestattungskultur im Wandel
Die Jahrtausende alte Bestattungskultur befindet sich derzeit im Wandel. Die Gründe dafür sind vielfältig: Individualität, Flexibilität und Mobilität der Menschen nehmen zu, traditionelle Familienstrukturen zerfallen und die
Schere zwischen Arm und Reich wird größer. Erdbestattungen im Sarg und Gräber mit Blumen und Grabsteinen werden immer seltener und häufig abgelöst durch andere Bestattungsformen. Urnengräber und zunehmend auch Kolumbarien gewinnen an Bedeutung. Im Jahr 2010 sind 46 Prozent* der Verstorbenen in Deutschland verbrannt worden. Anders als in früheren Zeiten ist seit einigen Jahren die anonyme Beisetzung gefragt: Auf speziellen Gräberfeldern, in Friedwäldern, in Form traditioneller Seebestattungen oder durch Verstreuen der Asche. Auch das Kremieren der Leichen im benachbarten Ausland ist inzwischen keine Seltenheit mehr. Die Asche der Verstorbenen kann anschließend nach eigenen Vorstellungen „beigesetzt" werden: im Garten, auf der Fensterbank oder im Schrank. Es besteht auch die Möglichkeit, sie zu einem Diamanten zusammenpressen zu lassen.
Überangebot
In diesem Wandlungsprozess verliert der Friedhof seinen Stellenwert. Die Städte und Gemeinden brauchen keine Erweiterungsflächen. Vielerorts kommt es sogar zu einem Überangebot an Friedhofsflächen und alten Friedhöfen. Allein in Deutschland müssen in den nächsten Jahren für Hunderte Friedhöfe neue Wege gefunden werden. An der Hochschule Osnabrück wird nun innerhalb eines durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) geförderten Projekts wissenschaftlich untersucht, was man mit alten Friedhöfen nach ihrer Entwidmung machen kann. Als Beispiele dienen zwei Osnabrücker Friedhöfe von 1808, der Hase- und der Johannisfriedhof. Beide werden zum Ende des Jahres 2015 entwidmet.
Grünanlagen
Ein durchaus überraschendes erstes Ergebnis besteht darin, dass es in diesem Zusammenhang kaum wirklich befriedigende Lösungen gibt. Selbst der „Königsweg", ehemalige Friedhöfe in Parks umzuwandeln, entpuppt sich bei genauem Hinsehen als problematisch. Vielerorts verkommen diese „neuen Parks" zu ungepflegten Freiräumen: Grabsteine werden beschmiert und umgekippt, Drogen konsumiert, Müll wird hinterlassen. Hundebesitzer lassen ihre Tiere trotz Leinenzwang frei laufen. Die Angehörigen der Begrabenen und Kulturinteressierte trauen sich hier oft nicht mehr her.
Konzept für Pflege und Nutzung
Viele Beispiele in Deutschland (wie der Überwasser-Friedhof in Münster, der Albani-Friedhof in Göttingen oder der St.-Petri-Friedhof in Braunschweig u.v.m.) machen es deutlich: Die schlichte Umwidmung in eine Grünanlage geht oft mit einem großen Verlust bezüglich Grabmalen, Wegeführung, Pflanzenbestand etc. einher. Die ehemaligen Friedhöfe werden vielerorts nicht mit dem nötigen Respekt behandelt. Der Alte St.-Nikolai-Friedhof in Hannover etwa hat heute keine Abgrenzung mehr. Eine viel befahrene Straße führt mitten hindurch. Ein großer Teil seiner wertvollen Substanz ist verloren. Dies sind alles Gründe dafür, dass bereits vor der Entwidmung eines Friedhofs ein Konzept für die Zukunft der Fläche vorliegen sollte - sowohl für die Pflege als auch für die Nutzung.
Neues Modell
Um die notwendigen Informationen zu sammeln, ist die Hochschule Osnabrück bei ihrem wissenschaftlichen Projekt in besonderem Maße auf eine Diskussion mit Interessierten und Betroffenen angewiesen. Während der Beschäftigung mit dem Thema wurde immer deutlicher, wie gravierend die Frage nach der Zukunft ehemaliger Friedhöfe eigentlich ist und dass sie viele Menschen berührt. Deshalb soll jetzt ein Modell entwickelt werden, das tendenziell überall umgesetzt werden kann. Vielleicht müssen ganz neue Formen eines Friedhofswesens entstehen. In diesem Zusammenhang kann man evtl. auch von der jüdischen und muslimischen Friedhofskultur lernen: Dort sind Grabstätten Orte der Ewigkeit und das Andenken der Verstorbenen bleibt in gewisser Weise dauerhaft präsent. Warum müssen bei uns alte Grabstätten immer vollständig abgeräumt werden? Warum kann nicht Name und Lebensspanne sichtbar bleiben?
GPP