Pflanzen auf der Pool-Position

Autor: Frank   
Veröffentlicht: 07.07.2008 - 08:58 Uhr
 
Sehnsucht nach Orientierung:

Im Rahmen des Symposiums „Green Living and Work" stellt der Diplom-Psychologe Stephan Urlings* seit den 90-er Jahren einen stabilen Trend fest, in dem sich das Lebens-Ideal vom analogen hin zu einem digitalen wandelt. Die Begrifflichkeit ist metaphorisch gewählt und vergleicht Lebenswege vor 1990 mit einer Langspielplatte. Das Lebens-Ideal verlief meist sehr stringent wie in einer Rille, es gab einen Lebensmittelpunkt, das Leben nutzte sich ab und war endlich. Etwa seit Beginn der 90-er Jahre, so Urlings, könne man das Lebens-Ideal mit einer CD vergleichen. Das gute Leben ist digital und glänzend, springt von Höhepunkt zu Höhepunkt, altert nicht, der Mensch glaubt an die eigene schöpferische Kraft auf Knopfdruck, Alltagsrhythmisierungen und Strukturen lösen sich auf. Die Pflanze als Ikone des Analogen, so konstatiert Urlings, findet im digitalen Zeitalter keinen rechten Platz.
Und heute? Die Gesellschaft befindet sich mental in einem Sinnvakuum. Es gibt keine Zukunftsvisionen, man tritt auf der Stelle, ist umgeben von Dampfplauderern und fühlt einen ständigen Veränderungsdruck, ohne zu wissen, wohin die Reise gehen soll. Inmitten einer Sinninflation der Beliebigkeit, macht Urlings verschiedene aktuelle Trends aus, in die Pflanzen mit ihrem Sinnangebot hineinpassen.

Die Komplexitätsreduktion
Im Produktflimmern der Vielfalt wächst die Sehnsucht der Menschen, man möge sie von der Qual der Wahl befreien. Als Beispiel führt Urlings Aldi an. Dieser Handelkette ist es gelungen, durch Vorauswahl der Produkte ein begrenztes Angebot zur Verfügung zu stellen, das dankbar angenommen wird. Innerhalb dieses Trends der Komplexitätsreduktion sieht Urlings gute Chancen für Pflanzen, denn sie sind im besten Sinne einfach und reduziert. Pflanzen können zu einem Ruhepol im Leben werden und mit ihnen kann man sich selbst und anderen zeigen, dass man etwas im Griff hat.

Gemeinsamkeit und Geborgenheit
Die Generation „Kuschel" findet den Lebenssinn nicht mehr in materiellen oder ideellen Werten, sondern in sich stets neu formenden Bindungbiotopen. Das Handy ist gleichsam die Nabelschnur oder das Babyphone für Erwachsene, das die Jungend miteinander verbindet. In diesem Zusammenhang steht auch eine Renaissance der Familie. Der Konsum dient in erster Linie der Ausstattung der eigenen Rückzugswelt. In diesen Trend fügen sich Pflanzen perfekt ein, denn sie müssen umsorgt werden und bieten dafür das Gefühl von Geborgenheit und Wohlbefinden.

Orientierungssuche
Eine Inflation von Ratgeberliteratur schafft neue Diffusion. Die Deutschen leben in einem Patchwork von Lebensstilen. Sie benötigen die Orientierung an Marken, denn ohne diese scheint das Leben karg und unlebendig. Für Pflanzen sieht Urlings auch im Licht dieses Trends gute Perspektiven, allerdings müssten Pflanzen dann wie eine Marke positioniert werden.

Alltags-Alphabetisierung
Den Menschen ist die Alltagskompetenz verloren gegangen. Sie sind oft nicht mehr in der Lage, sich zu organisieren. Hohe Einschaltquoten haben z. B. Erziehungsshows oder Kochshows. Pflanzen könnten den Menschen helfen, wieder Grundsätzliches zu erlernen, wie z. B. Versorgung und Verantwortung.

Lebens- und Liebeserfahrung
Urlings bilanziert, dass die Zukunft in der Wiederentdeckung analoger Lebensvollzüge liege. Damit stehen die Pflanzen, die als Inbegriff des Authentischen und Lebendigen gelten, auf der Pool-Position. Was die Menschen erfahren: Pflanzen sind liebenswert.

* Stephan Urlings ist Diplom-Psychologe und Geschäftsführer des Kölner Instituts für qualitative Markt- und Medienanalysen rheingold. Ein Schwerpunkt in seiner Arbeit liegt in Markt- und Wirkungsanalysen zum Wohnen. Zu diesem Thema hat er zahlreiche tiefenpsychologische Studien geleitet und wissenschaftliche Beiträge veröffentlicht.
BBH
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