Fledermäuse - das heimliche Leben der nächtlichen Jäger

Autor: Redaktion Magazin   
Veröffentlicht: 30.12.2010 - 09:47 Uhr
 

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Es ist früh am Morgen, und Carlo tritt seinen täglichen Rundgang an. Gewissenhaft läuft er durch das Wohnzimmer und ruft immer wieder. Einer nach dem anderen kommen seine Schützlinge aus ihren Verstecken und schließen sich ihm an. Im Gänsemarsch zieht die kleine Prozession weiter, bis die Kleinen vollzählig sind. Wird einer von ihnen aufmüpfig und weigert sich hervorzukommen, wird er scharf zurechtgewiesen – beim nächsten Mal wird er schneller gehorchen.
Carlo ist ein Großes Mausohr, seine Pfleglinge sind diesjährige Jungtiere von Mücken- und Zwergfledermäusen. Sie wohnen zusammen mit etlichen weiteren Fledermäusen bei Ilona Bausenwein vom Freundeskreis der Schlossfledermäuse Tübingen. Die Tiere wurden geschwächt, verletzt oder verwaist aufgefunden und werden nun gepflegt, bis Wetter, Alter und der Gesundheitszustand es gestatten, sie wieder im Freien sich selbst zu überlassen.

Es ist sehr ungewöhnlich, Fledermäuse so unmittelbar beobachten zu können. Obwohl auch viele Fledermäuse in Städten leben, bekommt man sie kaum einmal zu Gesicht. Die einzigen Flieger unter den Säugetieren sind nachtaktiv und nur gelegentlich als dunkler Schatten am helleren Abendhimmel, vor einer Straßenlaterne oder über dem Wasser zu erkennen. Kein Wunder also, dass sie nach wie vor vielen Menschen ziemlich unbekannt und manchmal auch etwas unheimlich sind.
Einige Arten, wie der Große Abendsegler, sind besonders im Herbst regelmäßig auch tagsüber unterwegs. Die meisten jedoch verbergen sich den Tag über in einem sicheren Versteck. Im Winter, in dem die sämtlich insektenfressenden europäischen Fledermäuse nicht ausreichend Nahrung finden könnten, halten sie Winterschlaf und verlassen ihre Quartiere nur sehr selten.

Passende Quartiere für Fledermäuse

Die Ansprüche, die an solche Hangplätze/Fledermauskästen gestellt werden, sind im Jahresverlauf ganz unterschiedlich. Für den Winterschlaf etwa werden feucht-kühle und in der Regel frostgeschützte Räume geschätzt. Im Sommer werden dagegen warme, zugfreie Plätze bevorzugt. Immer jedoch muss eine gewisse Sicherheit vor Räubern garantiert sein. Im Herbst suchen viele der europäischen Fledermausarten Paarungsquartiere auf. Die ansässigen Männchen machen die Weibchen von dort aus durch laute Rufe und Schauflüge auf sich aufmerksam. Schließlich brauchen die Tiere noch während der nächtlichen Jagd ein Plätzchen, um zu verdauen. Langohren nutzen außerdem noch spezielle Fraßplätze. Häufig werden dazu immer die selben Pausenplätze angeflogen.
Es kommt durchaus vor, dass verschiedene Quartiertypen im selben Raum liegen, wenn dort die jeweils passenden mikroklimatischen Verhältnisse gefunden werden. Größere Höhlen etwa können im Inneren witterungsgeschützte feuchte Winterplätze und näher am Ausgang warme Sommerplätze bieten. Die Quartiere können aber auch viele hundert Kilometer voneinander entfernt sein. Genutzt werden je nach Fledermausart großräumige Höhlen im Gestein oder in Bäumen, aber auch enge Spalten, in denen die Fledermäuse mit Bauch und Rücken Kontakt zur Wand haben. Die Tiere sind, insbesondere in den Wochenstuben und während des Winterschlafes, sehr störungsempfindlich. Wird eine Kolonie entdeckt, sollte man keinesfalls stören. Gibt es Probleme mit der Kolonie, etwa weil sie sich in einem Dachstuhl befindet, der saniert werden soll, sollte Kontakt zu einem lokalen Fledermausverein oder der Naturschutzbehörde aufgenommen werden.

Gemeinschaft ist alles

Carlos Führsorge den Jungen gegenüber ist für eine Fledermaus keineswegs ungewöhnlich, auch wenn die Kinderpflege bei ihnen normalerweise Frauensache ist. Während die Männchen in Einzelquartieren oder kleinen Männer-Wohngemeinschaften den Sommer verbringen, bilden die Weibchen Wochenstuben aus einigen Dutzend bis mehreren hundert Tieren. Hier werden die Jungen geboren und je nach Art ungefähr vier bis zu zwölf Wochen lang gesäugt. Solange die Mütter auf der Jagd sind, bleiben die Jungtiere gemeinsam in der Obhut von „Erzieherinnen“ in der Wochenstube zurück. Eben diese Aufgabe als Erzieher hat Carlo übernommen.
Überhaupt sind Fledermäuse hochgradig sozial. In der Gruppe wird oft enger Körperkontakt gehalten, energiesparend liegen die Tiere wie die Dachziegel übereinander. Besonders vertraute Tiere begrüßen einander mit Schnauzenreiben und putzen sich gegenseitig. Solche Freundschaften sind unabhängig davon, ob die Tiere miteinander verwandt sind,oder nicht. Sogar Verletzte (auch artfremde) Fledermäuse werden von der Gruppe aufgenommen und gepflegt.

Fledermäuse sind extrem wendige Flieger, die je nach Art ganz verschiedene Flugeinlagen zeigen können. Kleinräumiges Kurvenfliegen, Saltos, Sprints und Stopps in der Luft gehören zum normalen Repertoire. Dabei scheint das Fliegen an sich angeboren zu sein. Die Kniffe und Manöver aber bekommen die Jungtiere von Erziehern beigebracht.
Carlo demonstriert sehr anschaulich, wie solch ein Flugunterricht abläuft. In der ersten Flugstunde fliegen seine Zöglinge nach einer lautstarken „Einweisung“ hinter ihm her, wie Menschenkinder dem Skilehrer folgen – jede Kurve und Drehung wird nachgeahmt. Später hängt die ganze Gruppe in der Gardine. Carlo fliegt eine Runde vor und landet dann wieder. Anschließend sind die Kleinen dran. Der Reihe nach fliegen sie ihre Runde, zeigen ihre Manöver und landen wieder. Nach jeder Landung „plappert“ Carlo vernehmlich - ob er wohl den Flug kommentiert?

Echolot und Ultraschall- damit entgeht ihnen keine Beute

Fledermäuse sehen zwar nicht schlecht, orientieren sich aber vornehmlich mit Hilfe ihrer Ohren: Die Tiere stoßen „laute“ Ultraschallsignale aus und machen sich anhand des Echos ein akustisches Bild ihrer Umgebung. Haben sie sich mit einer Gegend vertraut gemacht, fliegen sie oft auch nach dem Gedächtnis. Im Dunkeln kollidieren sie daher auch gelegentlich mit unerwarteten Hindernissen wie neu aufgestellten Kränen. Auch bei der Jagd verlassen sich Fledermäuse auf ihre Ohren. Einige, wie das Große Mausohr, auf dessen Speiseplan unter anderem große Käfer stehen, hören die Geräusche, die die Insekten beim Krabbeln machen. Je größer die Ohren der Fledermäuse sind, desto mehr nutzen sie die Geräusche ihrer Beutetiere. Langohren etwa können sogar Spinnen und Weberknechte erhorchen. Je kleiner die Ohren sind, desto mehr arbeiten die Tiere bei der Jagd mit aktiver Echoortung. Mit dieser Technik können auch kleine fliegende Insekten erkannt und sehr genau verfolgt werden. Die Insekten werden gelegentlich direkt mit dem Maul, meist jedoch mit der Schwanzflughaut gekeschert und dann im Flug von dort mit dem Mund aufgenommen. Gelegentlich wird auch ein Flügel zum Fang genutzt. Auf Blättern, am Boden oder auch auf der Wasseroberfläche sitzende Insekten können auch mit den Füßen eingesammelt werden. Gefressen wird im Flug oder in aller Ruhe nach der Landung.
Während der Annäherung an ein Insekt werden ganz charakteristisch abgeänderte Ortungssignale ausgestoßen. Durch diese Erfolgsmeldungen werden weitere Fledermäuse angelockt, so dass größere Insektenschwärme von vielen Tieren genutzt werden können.

Auch die Jagd und sogar das Fressen von Mehlwürmern aus einer Schüssel muss den Jungen erst beigebracht werden. So zeigt Carlo seinen Schützlingen, wie man die Larve in die Schwanzflughaut bugsiert und dort bequem mit dem Mund einsammelt. Die ersten Male landen die Kleinen dabei regelmäßig auf dem Rücken. Bis sie dann endlich siegreich den Mehlwurm zwischen den Zähnen haben, ist oft schon vergessen, was sie mit dem dicken Ding eigentlich machen wollten. Erst nachdem Carlo ihnen deutlich vorgekaut hat, wird der Brocken aufgefressen. Aber der Weg bis zur selbstgefangenen Beute ist immer noch lang.

Eine aktive Fledermaus hat einen sehr regen Stoffwechsel und braucht ziemlich viel Futter. So benötigt ein zehn Gramm schweres Tier in einer einzigen Saison mindestens 300 Gramm Nahrung. Die kleinen Zwergfledermäuse etwa vertilgen pro Nacht bis zu 6000 Insekten, vornehmlich Stechmücken, Fliegen und Nachtschmetterlinge.
Hieraus ergibt sich nicht nur, dass Fledermäuse aus menschlicher Sicht sehr nützliche Mückenjäger sind, sondern auch, dass sie nur dort leben können, wo ständig große Insektenmengen verfügbar sind. Abwechslungsreiche Landschaften, in denen traditionelle Nutzungsweisen überwiegen, bieten den Insekten reichlich Nahrung und Nistgelegenheiten und damit auch den Fledermäusen sehr gute Lebensbedingungen.

Fledermäuse im eigenen Garten

Um den eigenen Garten für Fledermäuse attraktiv zu gestalten, muss in erster Linie für ein reiches Insektenvorkommen gesorgt werden. Besonders wichtig ist, dass einheimische Pflanzen überwiegen. Neue Pflanzenarten werden oft erst nach vielen hundert Jahren als potentielle Nahrungsquelle „entdeckt“ und können daher auf lange Sicht keine ähnliche Insektenvielfalt beheimaten wie bereits alteingesessene Arten. Gemischte Hecken mit Krautsaum sind ein ebenso wichtiger Lebensraum wie Wildblumenwiesen, die nur zwei bis drei Mal im Jahr gemäht werden sollten. Das Mähen sollte dabei möglichst in Etappen durchgeführt werden, um den Bewohnern Gelegenheit zum Ausweichen zu geben. Altgras und auch Staudenrabatten dürfen über den Winter stehen bleiben und werden erst im Spätwinter geschnitten. Ein größerer Teich wird nicht nur den Insektenreichtum merklich vergrößern, er wird von den Fledermäusen auch als Trinkgelegenheit genutzt.

Nicht nur Jagdrevier

Gärten eignen sich jedoch nicht nur als Jagdrevier. Im Garten wie am Haus finden sich auch erstaunlich viele potentielle Quartiere für verschiedene Fledermausarten. In Holzstapeln, Schuppen und Höhlen alter Bäume können Hangplätze zu finden sein. Hinter von außen zugänglichen Wandverschalungen finden Zwerg- und Bartfledermäuse Zuflucht. Ein unausgebauter Dachstuhl kann mit Hilfe von Einschlupfdachsteinen für Mausohren und Langohrfledermäuse zugänglich gemacht werden. Diese Einlässe sind für Tauben und Raubtiere viel zu klein, werden von Fledermäusen aber problemlos passiert. Um tödliche Vergiftungen zu vermeiden, sollten bei Umbauarbeiten ausschließlich unbedenkliche Holzschutzmittel verwendet werden.
Zusätzlichen Raum kann man durch künstliche Spaltenquartiere wie Fledermausbretter und Flachkästen schaffen. Informationen darüber, welcher Kastentyp in einem konkreten Gebiet empfehlenswert ist, bieten die lokalen Fledermausvereine. Die Kästen sollten an einem warmen Plätzchen in vier bis fünf Metern Höhe angebracht werden. Wichtig sind ein freier Anflug und zum Schutz vor Mardern und Katzen eine gewisse Entfernung zu Ästen und anderen Absprunggelegenheiten. Um Verunreinigungen vom Untergrund abzuhalten, kann in einigem Abstand unterhalb des Kastens ein Kotbrett angebracht werden. Fledermauskot besteht übrigens nahezu ausschließlich aus unverdaulichen Insektenteilen und bietet einen guten Blumendünger. Fledermäuse sind sehr traditionsbewusst, so dass es je nach Art lange dauern kann, ehe ein neues Quartier angenommen wird.
Winterquartiere liegen oft in unterirdischen Hohlräumen wie natürlichen Höhlen, alten Kellern, Kartoffelmieten oder Bunkern. Muss ein solcher Raum nach außen verschlossen werden, sollte für die Fledermäuse ein schmaler und damit raubtiersicherer Durchlass offen bleiben.

Zurück zu Carlo
Die Wochen vergehen. Irgendwann verweigern die jungen Mückenfledermäuse ihrem Ziehvater den Gehorsam. Sie sind wohl der Meinung, dass sie mittlerweile genug gelernt haben und ihren Lehrer nicht mehr brauchen. Carlo versteht und lässt sie in Ruhe. Vermutlich genießt er den Frieden, bis im nächsten Frühsommer neue Jungtiere seine Hilfe brauchen. -rh- mit besonderem Dank an Ilona Bausenwein

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zeitung/pflanzen-magazin-04.html

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