Folge 1: Das Wissen um die Heilpflanzen im Zweistromland

 
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Folge 1: Das Wissen um die Heilpflanzen im Zweistromland

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Gepostet: 01.01.2011 - 09:05 Uhr  ·  #1
Mit dem Begriff Zweistromland oder Mesopotamien wird die Gegend zwischen Euphrat und Tigris in den heutigen Ländern Iran und Irak bezeichnet, die als die Wiege einer der Hochkulturen des Vorderen Orients gilt.
Die ersten Tontafeln mit medizinischen Texten sind in die frühen Bronzezeit um 3000 vor Christus datiert. Das Volk der Sumerer (3100 bis 2100 vor Christus), das über eines der ältesten bekannten Schriftsysteme - die Keilschrift - verfügte, hinterließ viele Tontafeln, auf denen verschiedene Heilpflanzen und ihre Anwendung beschrieben wurden. Dabei handelt es sich um detaillierte Rezeptsammlungen, die damit zu behandelnden Krankheiten werden leider nicht genannt. Es sind Listen erhalten, in denen bis zu 250 verschiedene Pflanzen aufgeführt sind, die zu therapeutischen Zwecken eingesetzt wurden.
Interessanterweise fehlen hierbei Anweisungen für magische Praktiken, die bei der Heilung ausgeführt werden sollten. Das ist bei den Babyloniern (1894 bis 333 vor Christus]) anders, in deren medizinischen Schriften ist auch immer wieder von Dämonen und bösen Geistern die Rede, die die Krankheiten verursachen. Krankheiten konnte also eine Strafe der Götter sein. Deswegen war neben dem Arzt (asû) auch immer der Beschwörer (asipu) ein wichtiger Bestandteil der Behandlung.
In diesen Keilschrifttexten werden keine genauen Massangaben für die einzelnen Zutaten genannt, wohl, weil diese allgemein bekannt waren, es wird jedoch immer der genaue Einnahmezeitpunkt der Medizin angegeben. Die Rezepte beginnen stets mit den einleitenden Worten „wenn ein Mensch...“ mit der nachfolgenden Nennung der Krankheitssymptome, danach folgt „für seine Heilung“ mit der Aufzählung der einzelnen Bestandteile der Medizin, die sich aus pflanzlichen, tierischen oder mineralischen Substanzen zusammen setzen konnte. Bis jetzt konnten noch nicht alle dieser Zutaten mit Sicherheit bestimmt werden. Am Ende der einzelnen Rezepte werden Prognosen zur Heilungschance gegeben, wie "Hand eines Gottes oder Göttin", das heißt, dass nur die Götter diese Krankheit heilen können, "die Krankheit dauert lange", "er wird gesund" oder aber "er stirbt".

Für jede Krankheit eine geeignete Behandlungsmethode

Es gab Ärzte, die sich auf bestimmte Körperteile spezialisiert hatten. Dies bezeugen Rezeptsammlungen und Lehrbücher, die sich zum Beispiel ausschließlich mit den Krankheiten des Kopfes, der Ohren, der Augen, des Magens oder Darmes beschäftigen.
Genau ist beschrieben, wie bei Gehörgangs- und Mittelohrentzündungen oder Hörverschlechterung vorzugehen ist: ein Tampon, der meist mit Granatapfelsaft (Punica granatum) getränkt ist, wird in das Ohr eingeführt und soll mindestens drei Tage dort verbleiben.
Tinitus wurde wie folgt beschrieben: „wenn jemand die Hand eines Geistes erfasst und seine Ohren singen“.
Die Worte "wenn jemands Kopf voller süßer Hautgeschwüre ist" deuten auf die Grindflechte (Impetigo contagiosa) oder Krätze hin, die mit schwefelhaltigen Verbänden behandelt werden sollte.
Wenn jemand an Bronchitis oder schwerem Husten litt, sollte er einen Sud aus Kresse, Öl, Senf und Honig trinken. Alle diese Zutaten sind wundheilungsfördernd und antibakteriell. Gegen Erkältungen wurden Inhalationen mit Thymian (Thymus vulgaris) verordnet.
In den medizinischen Texten, die über die Erkrankungen des Magen-Darmtraktes Auskunft geben, werden oft folgende Heilmittel genannt, die zu einem Getränk vermischt werden sollen: Dattelsaft, Essig, Öl, Senfwasser, Zahnstocherdolde (Ammi visnaga) und Honig. Abschließend musste salzige Würzsoße aus Fisch getrunken werden.

Im Garten des Königs

Auf einer Keilschrifttafel, die sich heute im Britischen Museum in London befindet, werden 64 Pflanzen aufgezählt, die der babylonische König Marduk-apla-iddina II. (772 bis 710 vor Christus) in seinem Garten anpflanzen liess. Neben Thymian (Tymus vulgaris), Portulak (Portulaca oleacea), Knoblauch (Allium sativus), Fenchel (Foeniculum vulgare) und Kümmel (Carum carvi) wurden hauptsächlich Pflanzen ausgewählt, die in der mesopotamischen Medizin Verwendung fanden.


Der Codex Hammurapi

Der Codex Hammurapi (um 1750 vor Christus), eine Dioritstele, die 1901 von französischen Ausgräbern in der Stadt Susa gefunden wurde und heute im Louvre in Paris zu sehen ist, ist der älteste bekannte Gesetzestext in Keilschrift. Die verschiedenen Paragraphen regeln das Rechtswesen und geben Einblicke in die Rechtssprechung. Die Passagen 215 bis 223 jedoch beschäftigen sich mit Ärzten. So sind zum Beispiel die Honorarzahlungen genau festgelegt, wenn eine Operation oder Behandlung erfolgreich war. War sie es nicht, musste der Arzt nicht bezahlt werden.
Außerdem werden auch die Folgen ärztlicher Kunstfehler genannt: "Wenn ein Arzt einem Bürger eine schwere Wunde mit dem Operationsmesser beibringt und den Tod des Bürgers verursacht oder wenn er die Schläfe eines Bürgers mit dem Operationsmesser öffnet und das Auge des Bürgers zerstört, soll man ihm eine Hand abhacken."

Die große Anzahl von Rezeptsammlungen und Lehrbüchern lässt schließen, dass die mesopotamischen Ärzte über ein umfassendes Wissen um die Wirkung der Heilpflanzen verfügten, was sie bei vielen Krankheiten auch erfolgreich anwendeten. Da leider noch nicht alle Bestandteile der Rezepte identifiziert werden konnten, denn teilweise werden sehr fantasievolle Namen wie "Menschenfett", "Taubendreck" oder "Malzabfall" verwendet, die als Decknamen für die jeweiligen Zutaten genannt werden, ist es oftmals schwierig, die Rezepturen genau zu analysieren.

In der nächsten Folge werden die altägyptischen Mediziner, die als die besten der damaligen Welt galten, unter die Lupe genommen. -yl-



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