Kann Natur Kunst und Kunst Natur sein?

 
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Kann Natur Kunst und Kunst Natur sein?

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Gepostet: 24.09.2008 - 08:05 Uhr  ·  #1
Tautropfen rinnen wie glänzende Perlen vom Blatt des Huflattichs, helle Blattadern durchziehen das Grün des Maiglöckchens, die Blüte der zierlichen Akelei strahlt in leuchtendem Purpur. Die fedrigen Ähren der Gräser wirken so luftig und leicht, fast möchte man die Hand ausstrecken und die feinen Grannen berühren...

Doch Finger weg! Zurückhaltung ist angebracht, will man nicht riskieren, vom Museumswärter angezischt zu werden oder gar das Schrillen der Alarmanlage auszulösen und als potenzieller Kunsträuber zu gelten. Blumen, Blätter, Gräser sind nur schöner Schein, von der Hand alter Meister auf Leinwand gebracht - in früheren Zeiten die einzige Möglichkeit, die vergängliche Pracht einer Pflanze im Bild festzuhalten.
Die Detailtreue, die Farben, das Wechselspiel von Licht und Schatten: Alles wirkt so täuschend echt, dass man meint, den Duft der Blumen wahrnehmen zu können. Ist das naturalistische Abbild von Natur und Landschaft Kunst? Oder bloß solides Handwerk? Dürers Hase, präzise abgebildet bis ins letzte Haar, eine Tierstudie oder ein Kunstwerk? War die Kupferstecherin Maria Sibylla Merian mit ihren Bildern von Pflanzen und Insekten eine wissenschaftlich interessierte Künstlerin oder eine zeichnende Naturforscherin?

Seinen ketzerischen Gedanken noch nachhängend, zieht es den Besucher hinaus in den Skulpturengarten des Museums. Die Objekte aus Holz, Stein und Metall sind eingebettet in den grünen und blühenden Rahmen der Bepflanzung ringsherum: der Garten als Kunstkabinett. Anders als im gleichbleibenden Licht innerhalb der Museumsräume wechselt hier je nach Licht, Jahreszeit und Wetter die Wirkung der Exponate. Von der Sonne gebleichtes Holz und rostender Stahl, es scheint, als würde die Witterung den Skulpturen Leben einhauchen.

Der Duft der Rosen steigt in die Nase, im Laub der Bäume sind Hunderte verschiedener Grüntöne zu erkennen. Was, wenn nicht Ur-Kunst, ist die formvollendete Blüte einer Malve? Wohl deshalb gibt es Pflanzen- Ausstellungen: Jedes Rosarium, jeder Rhododendronpark ist doch im Grunde eine Sammlung lebender Kostbarkeiten und lädt nicht nur zum Hinsehen, sondern auch zum Berühren und Schnuppern ein.

Der Weg führt an den Skulpturen vorbei zu einer Bank aus Sandstein, überspannt von einem Laubengang aus dichten grünen Hainbuchen. Von hier aus hat man einen herrlichen Blick, links und rechts malerisch eingerahmt von ausladenden Baumkronen. Hinter rissigen dunkelbraunen Baumstämmen lugen zarte Anemonen hervor, und im Halbschatten leuchten die hell umrandeten Blätter der Funkien. Diese Bäume, Sträucher und Stauden hat gewiss nicht der Zufall zu einem solchen Gartenbild arrangiert. Hier war offenbar ein Könner am Werk: Die Kunst liegt darin, einzelne Pflanzenschönheiten zu einem Gesamtkunstwerk zusammenzufügen, das ständiger Entwicklung und Veränderung unterworfen ist und stets aufs Neue faszinierende Überraschungen bietet.

In der Vergangenheit waren Schöpfer großer Gärten - Peter Joseph Lenné in Sanssouci oder André le Notre in Versailles - Künstler, Gärtner und Landschaftsplaner in Personalunion. Das ist in der Gegenwart nicht anders. Auch heute noch gibt es Könner, die mit Formen, Farben und Texturen spielen, Sichtachsen planen und Materialien wie Holz und Stein mit ausdrucksstarken Pflanzen kombinieren. Zum Glück ist das Wirken dieser Fachleute nicht mehr nur Fürsten und Königen vorbehalten, sondern jeder kann sein Sanssouci verwirklichen, um sich - frei von allen Sorgen - zu entspannen und im besten Sinne aufzuatmen.

Landschaftsgärtner legen moderne und nostalgische Gärten an. Wege und Terrassen in organisch geschwungenen Formen oder strenger Geometrie, Teiche und Wasserbecken mit Stegen und Trittsteinen, Pflasterflächen mit phantasievollen Mustern und farbigen keramischen Elementen - jeder Garten erhält sein eigenes unverwechselbares Gesicht. Der Landschaftsgärtner hilft, Ideen in Gartenträume umzusetzen, denn oft lässt sich auf Gartenreisen Gesehenes nicht eins zu eins auf den eigenen Garten übertragen. Der Garten selbst ist Kunst, vorausgesetzt, er wird fachgerecht angelegt - und Landschaftsgärtner und Gartenbesitzer besitzen die Gelassenheit, der Natur den Teil der Gestaltung zu überlassen, den der Mensch nicht beeinflussen kann. Alle Sinne werden angesprochen, wenn Wasser plätschert oder still ruht, Düfte über den Beeten schweben und überraschende Farbspiele weithin aus Rabatten leuchten. So entsteht auf privatem Terrain ein kleines Stück Gartenkunst. Hier ist Anfassen erlaubt, und es kostet nicht einmal Eintritt.

BGL
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Wie gemalt - kostbare Pflanzenschönheiten lassen sich im eigenen Garten jedes Jahr aufs Neue bewundern.
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Ist er kunstvoll angelegt und in Szene gesetzt, wird im Garten garantiert jede freie Minute verbracht.
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