Lebensnaher Unterricht auf dem Friedhof

 
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Lebensnaher Unterricht auf dem Friedhof

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Gepostet: 23.09.2006 - 12:06 Uhr  ·  #1
Lebensnaher Unterricht
Kinder und Jugendliche bepflanzen Friedhöfe


Sonntag, 17. September 2006: Jürgen Schick, Konrektor der Kolkrabenschule in Köln, mahnt auf dem Kölner Nordfriedhof seine Schüler: ?Du musst tiefer pflanzen, Sylvia, dreh die Zwiebel um, damit sie besser wachsen kann. Daniel, ein bisschen mehr System bitte, lass Melanie auch etwas Platz zum Pflanzen!? Mooooooment, Schule ? am Sonntag? ? auf dem Friedhof? ? Zwiebeln? Aber ja: Schon zum sechsten Mal in Folge fand in diesem Jahr am dritten Septemberwochenende bundesweit der Tag des Friedhofs statt. Ziel dieser Aktion ist, der Öffentlichkeit die Vielfalt der deutschen Friedhofskultur zu zeigen. Auf mehr als 100 Veranstaltungen im ganzen Bundesgebiet haben sich mehr als 100.000 Menschen in diesem Jahr informiert. Seit über drei Jahren besteht eine Kooperation zwischen der Kolkrabenschule und dem Verband der Kölner Friedhofsgärtner. Zum einen geht es ganz praktisch um Berufsinformation und Praktika bei Friedhofsgärtnern. Zum anderen werden die Kinder und Jugendlichen durch Führungen und Aktionen ? nicht nur am Tag des Friedhofs ? dazu angeregt, sich mit Tod, Trauer und Grabkultur auseinander zu setzen. In diesem Jahr stand am Tag des Friedhofs für die Schüler der Klassen 5 bis 10 der Kolkrabenschule neben Malwettbewerben, Lesungen und Trauerkranzbinden auch eine Pflanzaktion mit Narzissenzwiebeln auf dem öffentlichen Friedhofsgelände auf dem Programm. 10.000 Narzissen werden im nächsten Frühjahr den Friedhof in ein Blütenmeer verwandeln.

Bewusstsein schaffen

Die positiven Erfahrungen, die die Lehrer der Kolkrabenschule mit der Kooperation und der wiederholten Teilnahme am Tag des Friedhofs in Köln gemacht haben, fasst Jürgen Schick wie folgt zusammen: ?Tatsächlich erleben wir in den letzten Jahren immer wieder, dass Kinder sich zum Beispiel nach der Betriebsbesichtigung einer Friedhofsgärtnerei beim anschließenden Rundgang über den Friedhof öffnen und von ihren schmerzlichen Erlebnissen mit dem Tod berichten. Eine weitere Erfahrung ist, dass religiöse Fragestellungen, wie die Fragen nach dem ?Woher, wohin, wozu des Lebens?? auf dem Friedhof leichter fallen. Im Unterricht dagegen gelingt es nur schwerlich, bis zu diesen abstrakten Fragestellungen vorzudringen.?

Miteinander sprechen

Jürgen Schick, der seine Schüler am Tag des Friedhofs begleitete, stellt fest, dass sich auch für ihn und seine Kollegen viel im Umgang mit dem Tod verändert hat. ?Für uns ist seit Beginn der Kooperation mit den Friedhofsgärtnern die Themen Verlust und Trauer in der Schule präsenter geworden. Auch wir Lehrer hatten zu Beginn eine gewisse Scheu, doch die ist nach vielen guten Erfahrungen gewichen. Sowohl wir Erwachsenen als auch die Kinder sind durch die Friedhofsbesuche zu einem unverkrampfteren aber dennoch respektvollen Umgang mit diesem besonderen Ort in der Lage. Ganz aktuell haben wir mit dem Tag des Friedhofs ein Erlebnis gehabt, das zeigt, wie wichtig es gerade für unsere Schüler ist, über konkretes Tun Gefühle zuzulassen und darüber zu sprechen. An der Pflanzung der Blumenzwiebeln, dem Umgang mit Erde, Hacke und Schaufel, hatten die meisten Schüler sehr großen Spaß. Ganz nebenbei konnten wir uns über Symbolpflanzen und Friedhofskultur allgemein unterhalten. Und noch ein anderes Beispiel: Eine ansonsten vom Verhalten her sehr auffällige Schülerin der achten Klasse war über die Stunden unseres Besuches völlig unauffällig, beschäftigte sich am Maltisch lange mit ihrem Gemälde vom Grab ihres Bruders und sprach am Ende des Tages zum ersten Mal über den Tod ihres Bruders im November letzten Jahres. Für uns Pädagogen ist das eine große Chance.?

Fürs Leben lernen

Das Fazit von Jürgen Schick ist eine Aufforderung an die Kollegen anderer Schulen: ?Ich kann alle Lehrer, egal welcher Schulform ? nur dazu ermuntern, ihren Schülern den Friedhof nahe zu bringen. Denn es geht bei Tod und Trauer um universelle Erfahrungen, die jeder Mensch ? unabhängig von seiner Religionszugehörigkeit ? schmerzlich erleben wird. Gleichzeitig ist die Friedhofskultur mit all ihren Aspekten ein integraler Bestandteil der Gesellschaft, in der wir leben. Je früher unsere Kinder Zugang dazu haben, desto selbstverständlicher werden sie mit Trauer und Begräbnisriten umgehen können und den Tod als einen natürlichen Teil des Lebens anerkennen. Wenn uns dies gelingt, dann denke ich, haben wir dem Motto vom Tag des Friedhofs ?Friedhof ? Ort der Lebenden? erfolgreich Rechnung getragen.?
CMA
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Am Tag des Friedhofs stellten auch bundesweit die Friedhofsgärtner ihren Beruf vor. Viele Betriebe haben durch Kooperationen mit Schulen gute Erfahrungen gemacht und bieten Praktikumsplätze an.
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Am Tag des Friedhofs ständen vielerorts Aktionen mit Kindern und Jugendlichen im Mittelpunkt, wie zum Beispiel in Köln, wo Schüler und Schülerinnen Narzissenzwiebeln im öffentlichen Teil des Nordfriedhofs pflanzten.
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