Ein Leben am Rand der Kultur

 
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Ein Leben am Rand der Kultur

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Gepostet: 12.06.2012 - 18:27 Uhr  ·  #1


Eine bunte Vielfalt von Feldern und Hecken, leuchtend blaue Kornblumen und Feldlerchen, die sich singend über die Äcker erheben, haben lange Zeit den Charakter ländlicher Gebiete in Mitteleuropa geprägt. Zahllose Tier- und Pflanzenarten haben sich im Laufe der Jahrtausende eingefunden und bilden heute erprobte Lebensgemeinschaften, die ihr Bestehen einzig menschlichen Aktivitäten verdanken.

Wanderer entlang der Felder

Seit Wald für Ackerland gerodet wird, nutzen auch Wildpflanzen den freien Platz. Sie stammen von großen und kleinen Offenstellen, aus der Steppe, vom Ufer der Flüsse, ja selbst von Wildwechseln und Tierbauten. Der Mensch brachte mit den Samen seiner Feldfrüchte ungewollt auch viele Wildkräuter aus anderen Regionen, etwa Ostasien und dem Mittelmeerraum, nach Mitteleuropa. Manche Art lebt bereits seit mehr als 5000 Jahren im Schatten der Kulturpflanzen.

Ein Störenfried ermöglicht Wachstum

Auf den Feldern finden sich all jene Gewächse ein, deren Bedürfnisse zu den Bedingungen dort passen. Vielen von ihnen genügt eine Saison um zu wachsen, zu blühen und Samen zu bilden. Oft keimen sie erst, wenn das Feld neu beackert und damit kaum Konkurrenz vorhanden ist. Neben Art und pH-Wert des Bodens, neben Wasser- und Nährstoffangebot entscheidet vor allem die zeitliche Abfolge der Bearbeitung darüber, welche Wildkräuter sich ansiedeln.

Hungerblümchen (botanisch Erophila verna) und Dreiteiliger Ehrenpreis (Veronica triphyllos) etwa kommen häufig in Wintergetreidefeldern vor. Sie keimen im Herbst, wachsen im Frühjahr zügig und können blühen, solange das Getreide noch recht klein ist. Andere, wie die Wicken (Vicia spec.), wachsen mit den Nutzpflanzen und nutzen sie als Rankhilfe. Wieder andere haben ihren großen Auftritt auf abgeernteten Stoppelfeldern.
Nach längeren Brachezeiten verschwinden die meisten dieser Einjährigen, da sie bei fehlender Bearbeitung des Feldes der Konkurrenz durch starke, mehrjährige Stauden und Gräser wie der Quecke (Elymus repens) nicht gewachsen sind.

Vom Wert des Unkrauts

Traditionell werden Unkräuter im Feld nicht gern gesehen. Sie erschweren die Ernte, die Stärksten unter ihnen bedrängen sogar die Nutzpflanzen. Dennoch erfüllen sie wichtige Aufgaben. Von jeder einzelnen Ackerwildkrautart hängen im Schnitt zwölf Tierarten ab, denen im Nahrungsnetz weitere folgen. Schlupfwespen, räuberische Laufkäfer, Spinnen und Spitzmäuse helfen, Geld für Pflanzenschutzmittel zu sparen. Wildbienen, Schwebfliegen und zahllose andere Insekten sind als Bestäuber unersetzlich. Bunte Feldränder wirken als Puffer, etwa indem sie Stoffein- und -austräge verringern. Sie bieten einen guten Erosionsschutz, der den kostbaren Mutterboden davor bewahrt, fortgespült zu werden. Ihre Pflanzendecke isoliert winterliche Extreme, was dem Bodenleben und damit auch dem Ertrag der angrenzenden Fläche zugute kommt.

Agrarwirtschaft und Naturschutz

Während auf von großen Monokulturen geprägtem Agrarland kaum etwas dauerhaft leben kann, ist die Artenvielfalt in kleinräumigen, von Hecken und Randstreifen durchzogenen Regionen mit abwechslungsreichen Feldfrüchten und Bebauungsmethoden sehr hoch. In den Randstreifen finden sich Vögel, insbesondere Bodenbrüter wie Feldlerche, Wachtel und Rebhuhn, ebenso wie verschiedene Reptilien und eine Vielzahl kleiner Säuger. Ganzjährig, auch zur Erntezeit, gibt es hier Deckung, Wohn- und Nistplätze. Zudem dienen sie als tierische Wanderwege, die Lebensräume miteinander verbinden. Auch große Felder lassen sich ohne großen Aufwand durch wildkrautreiche Schneisen für die Tierwelt stark aufwerten.

Bunte Vielfalt im Schwinden

Durch moderne Unkrautbekämpfungsmethoden sind viele Äcker heute nahezu “unkrautfrei”. Starke Düngung, der die Feldfrüchte mit gutem Wachstum folgen, lässt viele Wildkräuter kränkeln. Verbesserte Saatgutreinigung und veränderte Kulturmethoden erschweren ihre Verbreitung. Oft findet sich nur am Rand der Felder etwas Raum für das ungewünschte Grün. Doch auch dieser schwindet, da die Felder bis auf den letzten Meter voll bewirtschaftet werden. Unrentable Standorte dagegen werden gänzlich aufgegeben und verbrachen oder werden aufgeforstet. Die Standortvielfalt geht zurück. Mittlerweile steht die Hälfte der etwa 250 Arten in Deutschland vorkommender Ackerkräuter auf der Roten Liste.
Nur wenn es auch in Zukunft extensiv genutzte Flächen gibt, auf denen die langjährigen Begleiter der Nutzpflanzen geduldet werden, können sich kommende Generationen noch an den bunten Ackerrändern erfreuen. -rh-



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